Wertschätzende Führung in der Zeit erntet loyale Mitarbeiter in der Not

Schadenfreude“ – Wenn sich die englische Sprache eines deutschen Wortes bedient, darf man hellhörig werden. Scheinbar gibt es keine andere Sprache, die diese Emotion so treffend benennt, wie die unsere. Um voreiligen Schuldgefühlen vorzubeugen: Schadenfreude ist keine originär deutsche Eigenschaft. Hinter ihr steckt eine sozialpsychologische Funktion, die auf biologischer Ebene tief in unseren Gehirnen verwurzelt ist. Was das für die Führung bedeutet, beschreibt dieser Artikel.

Rezession

September 2023. Der Sommer liegt in den letzten Zügen: Die Tage werden kürzer, die Nächte kühler. Energie und Hitze schwinden und machen den Kopf frei für den Fokus auf die Arbeit in der kalten Jahreszeit. Eine aktuelle Bestandsaufnahme zeigt: Der Ifo-Geschäftsklima-Index sinkt zum vierten Mal in Folge. Nie, seit dem ersten Pandemiesommer im Jahr 2020, waren die Geschäftserwartungen so schlecht wie heute. Es ist Rezession. Die Zeiten werden härter. Wie der Bauer im Herbst, werden Manager nun die Früchte ihrer Arbeit ernten. Das können Loyalität und Motivation sein oder Desinteresse und Dienst nach Vorschrift.

Fairness im Hirnscanner

Wie reagieren Menschen auf Ungerechtigkeit? Um das herauszufinden, nutzten Psychologen eine Variante des Ultimatum-Spiels, eines klassischen Experiments der Sozialpsychologie: Die Teilnehmenden erhielten Punkte und konnten entscheiden, wie viele davon sie ihren Mitspielern schenkten. Der Clou: Der Spielleiter vervierfachte jeden Punkt, der verschenkt wurde. Je großzügiger die Teilnehmer, desto mehr Punkte für die Gruppe. Am Ende konnten diese zu Geld getauscht werden.

Kein psychologisches Experiment ohne Dilemma: Um die Sache zu erschweren, wussten die Teilnehmenden nicht, wann das Experiment endete. Spielten sie zu geizig, erhielt die Gruppe nur einen geringen Bonus. Spielten sie zu großzügig, bestand das Risiko, am Ende leer auszugehen. Die Erfahrung zeigt: Bei Spielen dieser Art kalibriert sich das System und pendelt sich schließlich gruppenübergreifend auf ein immer recht ähnliches Verhältnis ein, bei dem alle profitieren und niemand zu kurz kommt.

Um die menschliche Reaktion auf Unfairness zu untersuchen, installierten die Versuchsleiter einige Zuschauer und schleusten mehrere Lockvögel in die Gruppe ein, die unfair spielten. Auch wenn sie viele Punkte erhielten, spielten sie unsozial und gaben keine oder nur wenige Punkte weiter. Nach dem letzten Punktetransfer war der Versuch jedoch nicht zu Ende. Nun wurden die Mitspieler mit (milden) Elektroschocks bestraft. Das geschah weiterhin unter den Augen der Zuschauer, die im Hirnscanner lagen, um zu messen, welche Regionen in ihren Gehirnen aktiv wurden, wenn die fairen oder unfairen Spieler bestraft wurden.

Die Saat aus guten Zeiten zeigt sich in der Krise

Die Ergebnisse sollten Führungskräfte zu denken geben. Sie belegen nicht nur, dass Menschen unterschiedlich auf faires und unfaires Verhalten reagieren, sondern eröffnen darüber hinaus eine Überraschung. Zunächst zeigte sich: werden faire Spieler bestraft, aktiviert das das Schmerzzentrum im Gehirn der Zuschauer. Sprich, ist eine Führungskraft fair und wertschätzend, werden sich ihre Mitarbeiter in Zeiten der Krise mit ihr solidarisieren, ihr den Rücken stärken und sich für die gemeinsamen Ziele einsetzen.

Bei der Bestrafung der unfairen Spieler erlebten die Versuchsleiter eine Überraschung. Die Gehirne der männlichen und weiblichen Zuschauer zeigten nämlich unterschiedliche Reaktionen: Während bei den weiblichen Zuschauern weiterhin das Schmerzzentrum aktiviert wurde, wenn auch schwächer ausgeprägt, war bei den männlichen Zuschauern von Mitgefühl keine Spur. Stattdessen wurde ihr Belohnungszentrum aktiv: Sie empfanden Schadenfreude und Genugtuung, dass die unfairen Spieler ihre gerechte Strafe erhielten.

Interventionen für die Praxis

Während einige Führungskräfte sich in der Rezession über ein starkes Team und deren Unterstützung freuen können, sollten jene, die bei ihren Mitarbeitern die Bereitschaft zur Extra-Mile vermissen, dies als Signal verstehen, um mit sich in Klausur zu gehen und ihren bisherigen Führungsstil zu hinterfragen. Fragen Sie sich: Habe ich frühere Erfolge zu einseitig auf dem Rücken meiner Mitarbeiter erreicht und diese dafür nicht ausreichend wertgeschätzt? Lautet die Antwort ja, dann sparen Sie sich heldenhafte Ansprachen und Appelle vor der Gruppe nach dem Motto: „Wir müssen jetzt gemeinsam den Karren aus dem Dreck ziehen!“ Sie werden vermutlich Pokerfaces, politisch korrektes Nicken, ausweichende Blicke, unterdrücktes Feixen oder subtil verächtlich zuckende Mundwinkel ernten, während sie spüren, dass Sie Ihre Leute nicht wirklich erreichen.

Auch wenn es in der Sozialpsychologie auf der individuellen Ebene immer Unterschiede und verschieden starke Ausprägungen gibt, zeigen die Ergebnisse prinzipiell, dass fachlich zunächst stärker auf weibliche Mitarbeiter gebaut werden kann, während bei männlichen Kollegen die Wiederherstellung einer guten Beziehung in den Fokus genommen werden sollte. Der Vorteil dabei: Männer sanktionieren zwar härter, vergeben aber auch schnell wieder (vgl. Frans de Waal, „Der Affe in uns“).

Um Ihre Zeit und Energie zielgerichtet einzusetzen, können Sie die Reife-Matrix nutzen: Zeichnen Sie ein Koordinatenkreuz um die beiden Achsen „Wollen“ und „Können“. Es ergeben sich vier Quadranten, um die Mitarbeitenden darin zu verorten:

  1. Mitarbeiter, die können und wollen. Lassen Sie diese frei arbeiten und überlasten Sie sie nicht. Bedanken Sie sich für ihren Einsatz und fragen Sie sie, was Sie tun können, um sie zu unterstützen.
  2. Mitarbeiter, die können aber nicht wollen: Bei diesen ist es Zeit für mehr Wertschätzung und eine Entschuldigung, am besten unter vier Augen. Studien belegen, dass eine Entschuldigung nach wie vor einer der besten Wege ist, um die Beziehung zu kitten und Menschen zurückzugewinnen. Relativieren Sie dabei nicht, rechtfertigen sie keine eigenen Missstände und Versäumnisse, sondern zeigen Sie Einsicht und bitten Sie ehrlich um Solidarität und eine zweite Chance. Über 100 weitere Möglichkeiten für mehr individuelle Wertschätzung beschreibt mein Buch „echte Wertschätzung“.
  3. Mitarbeiter, die wollen, aber (aktuell) nicht können. Suchen Sie gemeinsam nach Möglichkeiten, um die Kompetenz zu erhöhen, die Anforderungen zu reduzieren, neue Einsatzgebiete und stärkenorientierte Ansätze zu erschließen. Finden Sie Paten und Tandempartner, die die Kollegen unterstützen, idealerweise, ohne dabei die Gruppe derer, die wollen und können, zu belasten.
  4. Mitarbeiter, die weder können noch wollen: Sollten Sie Zeit haben, können sie versuchen, auch diese zurückzugewinnen und dann stärkenorientiert zu entwickeln. Falls nicht, sollten Sie Ihre Hoffnungen und Energie auf die anderen drei Gruppen konzentrieren.

 

Echte Wertschätzung ist Haltungssache und die beste Prophylaxe

Männliche und weibliche Mitarbeiter reagieren unterschiedlich auf Missstände in der Führungskultur. Ergänzend zu den Interventionen in der Krise sollte der eigene Führungsstil nachhaltig geändert und auch beibehalten werden, wenn sich die Situation wieder bessert. Aber bitte nicht nur als methodische Prophylaxe vor der nächsten Durststrecke, sondern auf der Grundlage einer tieferen Haltungsänderung die den Anforderungen unserer neuen Zeit an Arbeit gerecht wird. Der Lohn einer wertschätzenden Führung auf Augenhöhe wird sich auch zeigen, wenn sich nach der Krise guten Talenten auf breiter Front wieder attraktive Möglichkeiten an den engen Fachkräftemärkten bieten. Eine gute Beziehung zur Führungskraft ist nämlich nach wie vor das beste Bindemittel gegen ungewollte Fluktuation.

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